Der Roman Das Haus in der Höhe spielt zwischen 1940 und ungefähr heute, u.a. am Federsee, in Stuttgart, Frankfurt, Berlin sowie in Hawaii und Alaska.
Es geht um: Gebäude, Gebäude – und einige Architekten – die schöne Kunst und die schöne Fälschung – der Stuttgarter Hauptbahnhof und sein Doppelgänger – hawaiianisches und deutsches Brauchtum im Vergleich – Bötchen, Boote, ein U-Boot sowie die USS Arizona – Aschenbecher – Teufelshündchen nebst Rumänen auf Fahrrädern – Geschwisterliebe – Wasserstoff- und andere Bomben – bergsteigende Fische, tote Wale, lebendige Wale, versenkte Wale – Entenmaler und Eifel-Maar-Maler – die Sonne, die liebe Sonne – Auslandsdeutsche treffen Deutsche im Ausland – das Märchen von Norman und Fee – Opernbrandstiftung – die Gefahren belgischer Kaufhäuser – ein Antennenwald im Walde – kriegsbedingter Hotelmangel – die Rolle des Glaubens in der Gegenwart – Scheinanlagen – die Macht der Musik und die Lockungen des Liedes – verlorene Telefone und verlegte Briefe.
Lese- und Hörproben:
- Drei Baumeister im Bahnhof (Auszug aus Kap. 3)
- Die Tour in die Eifel (Auszug aus Kap. 6)
- Der Sturm (Auszug aus Kap. 26)
<Die Tour in die Eifel>
1986. Das Frühjahr feucht und mild, von Frankfurt geht es über Main und Mosel in die Berge, so hoch zwar nicht, doch immerhin lauern hier, so hört man, Vulkane und dergleichen mehr. Im Auto, Franks Passat, der gelbe Kombi, verziert mit aufgeklebten lila Kreisen, Keilen, sitzt hinterm Steuer Anne, daneben Gerhild, und auf dem Rücksitz fläzt sich der Biermann selbst, kann sein er schläft, es ist noch früh, erst gegen zehn. Gerhild findet die Camping-Kassette, legt sie ein:
Es gibt halt Gute, es gibt halt Böse,
gibt Gauner und Verbrecher auch,
es gibt Ärzte und Advokaten
und dann noch Leute wie du und ich.
Dröhnen wir uns zu, hören Radio
ganz entspannt, sing einfach mit,
fahr dein Auto auf die Wiese
und dann singe ich dein Lied.
Jetzt regt sich Frank, streckt sich, gähnt, summt zum Gefiedel, sagt: Was ist denn das? Gerhild zieht die Hülle aus der Seitentasche. Da steht nur: David sagt, haltet euch von Seen fern.
Wie weit noch bis zum Maar? fragt Frank.
Sie sind fast da, nur dass jetzt Regen die Scheibenwischer pendeln lässt. Am Pulvermaar, es schüttet, bleiben sie fürs Erste im Wagen, dann muss Frank raus, pullern, geht los, ganz ohne Schirm, hat aber ja die Kappe, faltet auch eine Alditüte und steckt sie ein.
Gerhild sieht dem Regen bei der Arbeit zu, wischt den Wrasen vom Seitenfenster, klopft gegen die Scheibe, mal leicht, mal fest, versucht gezielt, die anhaftenden Tropfen abgehen zu lassen, Wasserlawinen, versucht, das Dichtungsgummi, den Boden dieser Welt, zu bombardieren, Space Invaders. Vorhersehen, vorausberechnen lassen sich die Falllinien der Bomben und ihre Einschlagspunkte nicht. Zufallsgenerator. Die Rinnsale auf der Scheibe zicken und zacken, bremsen, beschleunigen, vereinigen und verzweigen sich, machen auf dem Glas Arabesken wie kürzlich das Space Shuttle im Himmel über Florida; es ist wie verhext, als sei die Natur auf einmal gesetzlos.
Anne räuspert sich: Wo bleibt der denn? Ist doch jetzt sicher eine Viertelstunde weg. Glaubst du, ich soll mal kucken? Sowieso Zeit eine zu rauchen.
Rauchen kann sie im Wagen, hat sie zuvor auch getan, und ob der steht, ob der fährt macht wirklich keinen großen Unterschied, smoke on the water. Gerhild sagt: Bleib hier. Der kommt schon wieder. Wirst bloß nass.
In ihrer WG, der Wasserschaden in der Küche, fällt Anne ein, die Decke braun und fleckig, die Wandschränke verzogen: Die Küche, wann wollten wir die richten? Frank hat doch was gesagt, von wegen Material und diesem Maler, den er kennt?
Gerhild nickt, klopft an die Scheibe. Die Tropfen perlen weiter wirr übers Glas, Koyaanisqatsi, und das, obgleich sie draußen in der Luft doch sehr geradlinig nach unten fallen, ohne Sperenzchen: Ja, gesagt hat er was. Ich glaube aber, das hat Zeit. Wies aussieht, ziehen wir um. Frank hat was in Aussicht und, sagt er, wohl beinah schon an Land gezogen.
Wie bitte, was?
Frank würde bald das Referendariat, naja … und außerdem sei da auch etwas Geld, die Flohmarktsache liefe gut, die ganzen Drucke, Bilder, da hätten sich in letzter Zeit, so Frank, eine Menge neuer, nützlicher Kontakte herausgemendelt, Sammler, die ganz scharf auf seine Funde seien – der Frank ja auch ein echtes Glücks- und Trüffelschwein. Und überhaupt: Auf Dauer können wir schlecht zur Dritt … wie lange soll das gehen? Irgendwann ist jedes Studium vorüber, abgeschlossen – der Lauf der Dinge –, und auf das Ende des Vorhergegangenen folgt jeweils, ganz geologisch, der Beginn von etwas Neuem.
Anne dreht die Musik ab, drückt am Radio herum, findet nur klassische Musik, aber das passt schon, draußen Regen, drinnen dumpfer Orchesterkrach. Was solls, dann raucht sie halt im Wagen, Fünfe gerade, alles gleich. Gerhild, die selten raucht, nimmt sich auch eine Kurmark, findet das Feuerzeug im Handschuhfach, gibt sich, gibt Anne Feuer, bläst prüfend Rauch aufs Armaturenbrett. Der Rauch prallt ab; die Brücke ist intakt geblieben.
In Frankfurt bleibt ihr aber schon, sagt Anne.
Jaja, na klar, fürs Erste jedenfalls. Frank habe da, wie gesagt, schon eine Wohnung klargemacht, Altbau, Bocken- oder Bornheim oder so. Zumindest fast. Das sei geregelt.
Und mit dem Kunsthandel?
Da müsse man abwarten, zusehen. Das sei für den Moment, vorübergehend nichts als Zubrot – ein schönes Zubrot zwar, aber solide sei das nicht, der Markt schwanke, fahre Achterbahn, und für die Zukunft, schließlich, müsse man vorbauen, brauche ein Fundament und Pläne; sie wolle ja ihren Doktor machen und das nicht an Sankt Irgendwann: Braucht alles Zeit und Vorarbeit und kostet, und bis sich das einmal rentiert, bis das dann wieder reinkommt – wenn überhaupt …
Und deine Eltern? Ich dachte …
Nein, sagt Gerhild, von denen nehme ich nichts mehr. Sie habe es versucht, das sei bequem – bedeute aber, dass ihre Eltern sich ständig einmischten, mitreden wollten, Vorschläge machten, ihr nahelegten, dass sie dieses, jenes tue, beziehungsweise eben dieses und jenes nicht …, dass sie ins Ausland gehe, in die USA, und dort studiere: Und Karriere. Und ja kein Kind und keine frühe Ehe; und für ein Haus da gäben sie mir gerne Geld; und aber Frank, der sei ja nichts für mich, das müsse ich doch endlich merken? Und und und. – Damit ist Schluss. Es reicht. Ich will das nicht.
Gerhild kurbelt ihr Seitenfenster runter – geht doch, jetzt sind die Tropfen weg, alle auf einen Schlag – und wirft die Kippe aus dem Wagen. Das Radio piept, es ist elf Uhr, und eine sehr neutrale Stimme informiert über Bewegungen der Luft, über Teilchenströme, Niederschläge und Halbwertszeiten. Süddeutschland sei stark betroffen, himmlische Kräfte bewegten den Ausfall Richtung Südsüdwest; dazu ein neues Wort, Becquerel, das klingt wie ein gesunder Brotaufstrich.
Anne schlägt aufs Lenkrad: Und Frank ist irgendwo da draußen. Im Regen. Das kann doch nicht gesund sein, oder? Wo bleibt der denn? Menschmensch.
Gerhild öffnet die Tür, steigt aus: Alles halb so wild. Ganz angenehm sogar – ist ziemlich lau der Regen.
Anne gefällt das nicht: Jetzt renn nicht du auch noch fort, sonst hock ich ganz alleine hier. War überhaupt ne Schnapsidee, der Eifel-Trip – das ausgerechnet jetzt. – Was will denn Frank hier überhaupt am Arsch der Welt?
Gerhild lehnt sich ins Seitenfenster. Frank habe da einen Tipp bekommen. Ein Künstler, vergessen, totaler Underground, und irgendwo von hier, aus dieser feuchten Gegend … Wille, von Wille, glaube sie. Für fast kein Geld könne man da eventuell ein paar Blätter, Werke … die dann schön rahmen, denn die Rahmen seien besonders wichtig, Auge sieht mit, sagt Frank, und dann für gutes Geld anderswo, andernorts losschlagen – der Abstand zwischen Rohstoffquelle und Markt mache, je größer, desto mehr Profit – und also für schönen Reibach an Liebhaber in Rheinmain verscherbeln undsoweiter, das sei der Plan, in groben Zügen.
Sie sieht in den Dunst, der Frank verschluckt hat, sagt zu Anne: Ich seh mal wo er steckt. Ich bleib nicht lange.
Und weg war auch sie, verschlungen vom mehr oder weniger strahlenden Regen, so genau wusste mans nicht; Milch sollte gefährlich sein, besonders aber Pilze, klar, gleich und gleich gesellt sich gern.
Der Regen schien kein Ende zu kennen. Obwohl … als Anne sich zur anderen Seite wendet, sieht sie – da, in den Wolken, strahlt jetzt was durchs Grau. Ein paar Minuten nur, und die Sonne schwimmt sich frei, macht hinterm Maar verwaschen einen Regenbogen, Abklatsch zwar und doch sehr schön.
Anne atmet durch, dehnt sich zurück, der Sitz knirscht bös. Dreimal klatscht sie mit der flachen Hand auf den Pralltopf, dass es nur so hupt, steigt aus, geht ein paar Schritte Richtung Pulvermaar, das nun sehr klar, sehr rund und blau zu sehen ist, sucht sich dort einen flachen Kieselstein und zielt und wirft ihn Richtung Wasserspiegel. Der Winkel muss verkehrt gewesen sein. Oder der See. Oder der Stein. Es macht nur einmal Plopp und sprützt, und Kreise, gar konzentrische, bilden sich keine. Es läuft nicht rund.
Martin Bartholmy: Das Haus in der Höhe (Roman)
580 Seiten, gebunden, 28 Euro
ISBN: 978-3-7526-0492-4
Eine hochauflösende Version dieses Fotos gibt es hier.