Geschichte

Was die Städte sagen. Ein Roman in 25 Orten (1)

Über den Verfasser

Karl Napf, * Holzmaden 1945, † Owen 2006

Karl Napf trat früh und anfangs mit Lyrik hervor. Erste Arbeiten des 16-jährigen erschienen 1961 in der von Bense herausgegebenen Anthologie fisch fang beifang, sein Gedichtband Der Schatten des Bären ist schwer folgte im Jahr 1965. Die Kritik äußerte sich weitgehend günstig, und, last but not least, meldete sich ein prominenter Fürsprecher des jungen Dichters zu Wort, nämlich Hugo von Maurhus, bekannt als der „letzte Groß-Impressionist der deutschen Literatur“, und Maurhus war es auch, der ihm ein sechsmonatiges Arbeitsstipendium im Solothurner Sealsfield-Haus sicherte. Weitere Werke aber wollten Napf in der Schweiz nicht gelingen.

Zurück in der Heimat ging ein Studium der Philosophie in Tübingen einher mit unterschied-lichsten Arbeiten für Presse und Film. Mit dem Gewinn des Gustav-Meyrink-Preises (1967), mit welchem er für sein filmisches Oratorium Der Schicksalsberg der Deutschen oder: Die Leiden des jungen Sisyphos am Nanga Parbat ausgezeichnet wurde, schien sich eine Wiederbelebung seiner Künstlerlaufbahn abzuzeichnen.

Alles änderte sich im Schicksalsjahr 1968. Napf gab Studium, gab Karriere auf und zog sich auf Jahre in eine Kommune nahe Ochsenwang zurück. Diese Episode seines Lebens, über die nur wenig bekannt ist, endete erst nach mehreren, bis heute nicht geklärten, ominösen Zwischenfällen (dem sog. Ochsenwang-Syndrom), mit der Auflösung der sektenartigen Gemeinschaft im Jahre 1973. Napf heiratete eine Mit-Kommunardin (ein Kind war bereits geboren), und zusammen zog man nach Stuttgart, wo er in der Folge als Journalist (u.a. Stuttgarter Nachrichten) und Übersetzer (Neruda usw.) arbeitete.
In den wenigen eigenständigen Arbeiten Napfs aus dieser Zeit, ist ein neuer erzählerisch-essayistischer Ton zu vernehmen, der für sein weiteres Werk produktiv werden sollte. Diese viel zu wenig bekannten Arbeiten – eine Neuedition ist eines der wichtigsten Desiderate der neueren deutschen Literaturgeschichte – erschienen in Kleinauflage im Jahr 1975, Titel: Der Fischer und seine Kuh. 15 Versuche 1 Welt auseinanderzunehmen und daraus 3 neue zu bauen.

In den Jahren 1975/76 lebte das Ehepaar, ein zweites Kind war geboren, im Rahmen eines Stipendiums in Uruguay. Napfs Arbeiten dort jedoch wurden überschattet von politischen wie persönlichen Turbulenzen; Werke aus jener Zeit scheinen sich nicht erhalten zu haben, und es mag sein, dass er einiges selbst vernichtet, dass anderes von seiner Frau unterschlagen wurde. Auch weitere Gründe sind denkbar; ein Gedicht Napfs mag hierfür Hinweise geben:

Uruguay

Salto, Paysandú, Las Piedras,
und dazwischen auch noch etwas:
Pampa, Pampa und inmitten,
dieser hüten sie Termiten.

Dann, 1977, ein weiteres Schicksalsjahr, hatte Napf, zurück in Deutschland, einen schweren Unfall. Später sagte er, wenn vielleicht auch im Scherz, es sei dieses Ereignis gewesen, dass ihn vom Paulus zum Saulus gemacht habe. Es folgten mehrere Operationen, vielmonatige Kuren, eine Ehekrise und schließlich die Trennung von seiner Frau; die beiden Kinder verbleiben bei der Mutter.

Napf verlegt seinen Lebensmittelpunkt in der Folge für einige Zeit nach England, wo er auf den kornischen Scilly-Inseln eine Kate bewohnte. Er lebte dann vorübergehend bei Freunden in Heidelberg und in München und schließlich, ab 1980, für mehrere Jahre in Berlin, wo er künstlerischer Leiter des Festivals Interästhetika 2000 – Film im Flux wurde. Neben dieser Tätigkeit arbeitete der unterdessen nahezu Vergessene vermehrt auch wieder journalistisch sowie literarisch, und es erschienen „konkrete Elegien, schnelle Essays, essigsaure Erzählungen und Mixed-Media-Materialien“ in kleinen, hektografierten Magazinen und Underground-Anthologien.

Im Jahr 1986 wurde sein viel beachteter narrativ-nachdenklicher Band zur DDR veröffentlicht, Wie mir die Zone die Mitte aus meinem Europa nahm. Seit 1988, durch eine Erbschaft unabhängig geworden, lebte Napf alternierend in Owen (Baden-Württemberg) und Berlin, rastlos schreibend, als gelte es, die versäumte Zeit aufzuholen. In diese Periode fallen zahlreiche Veröffentlichungen unterschiedlichster Genres, erschienen u.a. in linie, TransAtlantik, Der Rabe und Wechselöl. Eine umfassende Sammlung und Edition dieser verstreuten, viel zu wenig gewürdigten Arbeiten bleibt eine Aufgabe, die einer neuen Generation unerschrockener Herausgeber harrt.
Seine bekanntesten Bücher dieser Jahre: Wie war das in Amerika? (Reportagen und Essays, 1987), Mitgeschrieben.Sprechgedichte (1989), Deutsche Einheit (Roman, 1992), Beyond Bayreuth (Essays und Skizzen, 1994), Frau Heinrich am Vogelherd (Historischer Kolportageroman, 1998), Immer weiter heiter keiter (Novellen, 2004).

An seinem opus magnum, den Geschichten über deutsche Städte, einer doku-poetischen, mikroskopischen Bestandsaufnahme des gelebten Alltags im Deutschland der Gegenwart, arbeitete er seit zirka 1996 – und noch bis kurz vor seinem zu frühen Tode. Sein ursprünglicher Plan für dieses Werk, „ … den hundert oder zweihundertfünfzig wichtigsten deutschen Orten will ich ein Denkmal setzen, so wie ich sie sah“, blieb Fragment … und doch ein Fragment, das geradezu provozierend lässig fast alle abgeschlossenen Werke der aktuellen Literatur beschämt.

Karl Napf starb nach kurzer schwerer Krankheit im Herbst 2006 in dem von ihm liebevoll restaurierten elterlichen Gehöft in Owen.

Das Cover des Buchs "Was die Städte sagen. Ein Roman in 25 Orten" von Martin Bartholmy

Martin Bartholmy: Was die Städte sagen. Ein Roman in 25 Orten
Hinterland House Press 2022
360 Seiten, 18,- €
ISBN: 978-3-7562-9487-9